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Pflichtverteidigung? Mythen, Irrtümer und Wahrheiten!

Aktualisiert: 8. Juni 2019

In diesem Beitrag klärt der Rechtsanwalt und Strafverteidiger Alexander Held über die häufigsten Irrtümer, Mythen und Fakten zum Thema Pflichtverteidigung auf.

Im Zivilrecht können die Parteien bei der anwaltlichen Vertretung und Beratung Hilfen erhalten, wenn sie mittellos sind. Die Begriffe „Beratungs- und Prozesskostenhilfe“ haben die meisten schon einmal gehört. Aber wie ist es, wenn ich mittellos bin und einer Straftat verdächtigt werde? Eines vorweg, im Strafverfahren gelten andere Spielregeln. Wer einer Straftat verdächtigt wird und kein Geld für einen Rechtsanwalt hat, der kann sich zwar auch hier im Wege der Beratungshilfe einen ersten Rechtsrat einholen. Soll dann aber im Anschluss eine weitere Betreuung durch den Rechtsanwalt nach außen erfolgen oder soll der Betroffene gar vor Gericht verteidigt werden, gibt es hierfür keine Prozesskostenhilfe. Wer im Rahmen eines Strafverfahrens einer Straftat verdächtigt wird, muss seinen Rechtsanwalt selbst bezahlen. Viele amerikanische Serien haben den Gedanken gefestigt, dass derjenige, der sich keinen Rechtsanwalt leisten kann, „dann wenigstens einen Pflichtverteidiger“ gestellt bekommt. Doch so einfach ist es nicht.


Was ist überhaupt ein Pflichtverteidiger?

Am Anfang steht die Frage nach der Bedeutung des Pflichtverteidigers. Anders als in den amerikanischen Serien gilt in Deutschland nicht, dass der Pflichtverteidiger die „Armen“ vertritt, die hierfür keine eigenen Mittel haben. In Deutschland wird ein Pflichtverteidiger dann beigeordnet, wenn der Betroffene selbst noch keinen Verteidiger gewählt hat, das Gesetz aber vorsieht, dass der Betroffene einen Verteidiger haben muss. Der Pflichtverteidiger kommt also immer dort ins Spiel, wo eine Verteidigung durch den Betroffenen selbst schwierig oder nicht empfehlenswert ist, der Betroffene dies aber selbst nicht zwingend erkennt. Dabei ist wichtig, dass auch ein bereits gewählter Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet werden kann. Ebenfalls ist es möglich, dass der potenzielle Angeklagte neben dem beigeordneten Pflichtverteidiger auch noch einen oder mehrere Wahlverteidiger zur Verteidigung heranzieht.


Bei den folgenden Auflistungen handelt es sich um Fälle der sogenannten „notwendigen Verteidigung“. In diesen Fällen darf ohne einen Verteidiger in diesen Fällen nicht zulasten des Angeklagten verhandelt werden. Dabei spielt die wirtschaftliche Situation des Beschuldigten keine Rolle. In Fällen notwendiger Verteidigung wird jedem, der noch keinen Rechtsanwalt als sogenannten Wahlverteidiger hat, ein Verteidiger bestellt. Im Ergebnis können also auch „reiche“ Beschuldigte einen Pflichtverteidiger bekommen.


Wann Ihnen ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird, ergibt sich grundsätzlich aus der Strafprozessordnung (StPO). Nachfolgend finden Sie eine Auswahl an Umständen, in denen das Gesetz zwingend die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorsieht:


Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen zur Last gelegt. Verbrechen sind Straftaten, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Hauptverhandlung findet in erster Instanz vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht bzw. Kammergericht statt.Das Strafverfahren kann zu einem Berufsverbot führen.Gegen den Beschuldigten wird ein Sicherungsverfahren durchgeführt (Beispiel: Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Schuldunfähigkeit bei Tatbegehung).Der Beschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft, in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer Unterbringung nach (nicht rechtskräftiger) Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung.Es soll ein Gutachten über den psychischen Zustand des Beschuldigten erstellt werden.Dem Verletzten der Straftat ist ein Rechtsanwalt beigeordnet worden.

Neben der Beiordnung als Pflichtverteidiger von Gesetzes wegen gibt es noch die Möglichkeit, einen Pflichtverteidiger auf Antrag des Beschuldigten zu erhalten. Ein solcher Antrag ist unter den nachfolgenden Umständen erfolgversprechend:

Der Betroffene ist hör‑ oder sprachbehindert.Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann auch je nach der Schwere der Tat geboten sein. Beispiele: Tötungsdelikte, drohende Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens 1 Jahr, drohender Widerruf der Bewährung oder der Zurückstellung (35 BtMG), drohende schwere disziplinarrechtliche Folgen (bei Beamten, Soldaten etc.) u. a.Auch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage kann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebieten. Beispiele: Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, umfangreiche und langwierige Beweisaufnahme, Auseinandersetzung mit Sachverständigengutachten, Interessengegensätze verschiedener Mitangeklagter u. a.Des Weiteren kann ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wenn sich der Beschuldigte ersichtlich nicht selbst verteidigen kann. Dabei können körperliche Hindernisse des Beschuldigten genauso eine Rolle spielen wie Schwierigkeiten im Prozessrecht. Beispiele: mangelnde Sprachkenntnisse, Lese- und Schreibschwächen, erhebliche körperliche oder geistig-seelische Gebrechen, Revisionsverfahren (Erfordernis vollständiger Akteneinsicht und streng formalisierter Rügen).


Wie bekommt man nun einen Pflichtverteidiger? 

Die vorstehende – nicht abschließende – Übersicht macht deutlich, dass bereits der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers besser durch einen Rechtsanwalt gestellt wird. Zu beachten ist auch, dass es sich bei einem Pflichtverteidiger nicht um einen speziellen Anwalt handelt. Wenn ein Fall der sog. notwendigen Verteidigung vorliegt, kann jeder Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt werden. Ein eigenes „Berufsbild“ des Pflichtverteidigers gibt es in Deutschland also nicht. Daraus ergibt sich ein wichtiger Umstand. Im Kern kann sich jeder Betroffene seinen Verteidiger selbst aussuchen. An diesem Grundsatz ändert sich auch nichts, nur weil der Wahlverteidiger dann Pflichtverteidiger ist. Hier sollten sich Betroffene auch nicht von Ermittlungsbehörden oder Gerichten unter Druck setzen lassen. Seit 1. Oktober 2009 gilt, dass der Pflichtverteidiger nicht mehr „aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte ausgewählt“ werden muss. Leider kommt es vereinzelt immer noch vor, dass Betroffene aufgefordert werden, einen Pflichtverteidiger „aus dem Bezirk des zuständigen Gerichts“ auszuwählen. Hierauf muss sich ein Betroffener aber unter keinen Umständen einlassen. Vielmehr hat der Betroffene heute die freie Wahl, einen Rechtsanwalt aus dem gesamten Bundesgebiet als Pflichtverteidiger zu benennen.


Wird durch den Betroffenen kein Rechtsanwalt benannt, der ihm als Verteidiger beigeordnet werden soll, sucht das Gericht ihn für den Betroffenen aus. Die Praxis zeigt leider, dass Gerichte hierbei oftmals nicht die optimale Verteidigung des Betroffenen im Sinn haben. Stattdessen ordnen sie häufig Rechtsanwälte bei, deren Kanzleibetrieb und somit ein Großteil ihrer Einnahmen aus Beiordnungen in diesem Gerichtsbezirk herrühren. Der Verteidiger ist daher in diesen Fällen zu oft auf den Gutwillen des Gerichts angewiesen und macht in der Regel „keine Schwierigkeiten“, da seine wirtschaftliche Zukunft von weiteren Beiordnungen abhängt. Im Ergebnis hat das Gericht weniger Arbeit, der Betroffene aber auch eine mangelhafte Verteidigung. Sie sollten deshalb stets einen versierten Strafverteidiger wie Herrn Rechtsanwalt Alexander Held, Fachanwalt für Strafrecht, benennen und nicht blindlings dem Vorschlag des Gerichts vertrauen.


Wer übernimmt die Kosten des Pflichtverteidigers?

Wird dem Betroffenen ein Verteidiger bestellt, erhält dieser seine Gebühren aus der Staatskasse. Dies bedeutet aber nicht, dass die notwendige Verteidigung gratis ist. Wenn der Betroffene verurteilt wird, wird sich die Staatskasse die verauslagten Gebühren als Teil der Verfahrenskosten vom Verurteilten zurückholen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Pflichtverteidigergebühren deutlich geringer ausfallen als die Gebühren des Wahlverteidigers.


Zulässig ist es aber, dass der Pflichtverteidiger von seinem Mandanten die weitere Vergütung bis zur Höhe der Wahlverteidigervergütung verlangen oder in umfangreichen Verfahren sogar eine Vergütungsvereinbarung schließen kann. Dies liegt nicht an der „Gier“ des Pflichtverteidigers, sondern an dem Umstand, dass es sich oft um umfangreiche, schwierige Verfahren handelt, welche anders schlicht nicht kostendeckend bearbeitet werden können.


Im Ergebnis ist eine Pflichtverteidigung daher nur für Betroffene, welche freigesprochen oder deren Verfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt werden, wirklich kostenlos.


Gibt es Ausnahmen?

Wie immer gibt es auch hier eine Ausnahme. Diese Ausnahme hiervon gilt im Jugendstrafrecht. Dort kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten die Kosten seines Pflichtverteidigers aufzuerlegen. Dabei ist entscheidend, ob der Betroffene die Verfahrenskosten aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Bei Jugendlichen, dies sind 14- bis einschließlich 17-Jährige, wird das in aller Regel nicht der Fall sein. Jugendliche müssen deshalb die Gebühren des Pflichtverteidigers zumeist auch dann nicht bezahlen, wenn sie verurteilt werden.

Bei Heranwachsenden zwischen 18 und einschließlich 20 Jahren gilt diese Vorschrift nur eingeschränkt. Nur wenn auch bei ihnen noch Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, werden die Pflichtverteidigergebühren nicht auf den Angeklagten umgelegt. Grundsätzlich wird jedoch geprüft, ob die Auferlegung der Verfahrenskosten erzieherisch sinnvoll ist. Wenn das Gericht zu dieser Auffassung kommt und der Betroffene über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, wird man ihn dennoch zur Zahlung der Pflichtverteidigergebühren als Teil der Verfahrenskosten verurteilen.


Gibt es wirklich keine Prozesskostenhilfe?

Wem es ein Trost ist, sei damit beruhigt, dass es die Prozesskostenhilfe nach den allgemeinen Regeln auch im Rahmen des Strafrechts gibt. Aber: Die klassische Prozesskostenhilfe gibt es erst im Strafvollzug! Wer also bereits im Gefängnis sitzt, verlegt werden oder Urlaub bekommen möchte, kann, wie in anderen Rechtsgebieten auch, Prozesskostenhilfe beantragen. Wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen, wird ihm diese auch gewährt werden. Da der Betroffene dann aber schon verurteilt ist und meist in Haft sitzt, sollte jeder Betroffene frühzeitig für eine optimale Strafverteidigung sorgen.

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