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Was genau ist ein Pflichtverteidiger? Von wem wird er bestellt und wer übernimmt die Kosten?

Aktualisiert: 21. März 2020




Was ist ein Pflichtverteidiger?

Der Pflichtverteidiger ist kein spezieller Rechtsanwalt, der bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft arbeitet. Vielmehr kann jeder Rechtsanwalt durch das Gericht zum Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn das Gesetz einen Fall der sog. notwendigen Verteidigung vorsieht.


Wann handelt es sich um eine notwendige Verteidigung?


Dies ist nach § 140 StPO der Fall, wenn:


1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet


2. dem Beschuldigten ein Verbrechen (eine Tat, die im Mindestmaß mit 1 Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist) zur Last gelegt wird


3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann


4. der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist


5. der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet


6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt


7. zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird


8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist


9. dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist


10. bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint


11. ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt


12. eine schwere Tat vorliegt (im Regelfall ab 1 Jahr zu erwartender Freiheitsstrafe)


13. eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliegt


14. man unfähig ist, sich selbst zu verteidigen (vor allem bei Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind)


Liegt also nur eine dieser Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung vor, muss zwingend vom Gericht, in Ausnahmefällen durch die Staatsanwaltschaft, ein Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt werden. Dabei erfolgt diese Beiordnung zum Pflichtverteidiger völlig unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Beschuldigten.


Wann und wie bekomme ich einen Pflichtverteidiger? Kann ich mir selbst einen Anwalt aussuchen?


Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, so muss das Gericht nach § 141 StPO von Amts wegen, unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten, spätestens dann einen Anwalt zum Pflichtverteidiger bestellen, wenn


1. der Beschuldigte einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll


2. bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet


3. im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder


4. er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt


Aufgrund europarechtlicher Vorgaben ist dem Beschuldigten mittlerweile auch bereits im Ermittlungsverfahren, beim Vorliegen der Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung, ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und er dies beantragt. Welcher Rechtsanwalt das Gericht als Pflichtverteidiger bestellt, liegt primär am Beschuldigten, denn diesem ist gem. § 142 Abs. 5 StPO Gelegenheit zu geben einen Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens zu benennen. Diesen wird das Gericht dann auch in der Regel als Pflichtverteidiger bestellen. Erst wenn er dem nicht nachkommt wählt das Gericht einen Rechtsanwalt aus und bestellt diesen zum Pflichtverteidiger.


Im Klartext bedeutet dies, dass sich der Beschuldigte grundsätzlich selbst einen Strafverteidiger aussuchen kann und diesen dann dem Gericht nennt bzw. sich dieser bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft anzeigt. Dem Wunsch des Beschuldigten muss vom Gericht entsprochen werden. Nur wenn es gewichtige Gründe gibt, welche gegen eine Bestellung des gewählten Rechtsanwaltes sprechen, kann die Bestellung vom Gericht abgelehnt werden. Nur weil ein Strafverteidiger dem Gericht aber etwa unbequem ist oder von auswärts kommt, reicht nicht um den gewünschten Anwalt nicht zu bestellen.

Das bedeutet aber auch, dass der Beschuldigte sich unbedingt immer selbst einen Anwalt seines Vertrauens aussuchen sollte bevor das Gericht dies übernimmt.


Was kostet ein Pflichtverteidiger?


Ein Pflichtverteidiger kostet erst einmal nichts. Da der Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt wird, macht dieser seine Kosten gegenüber der Staatskasse geltend. Er wird letztlich vom Staat bezahlt, was verhindern soll, dass ein Beschuldigter wegen Zahlungsschwierigkeiten plötzlich ohne Strafverteidiger da steht. Der Beschuldigte muss sich also keine Sorgen um die Bezahlung seines Strafverteidigers machen.

Ein guter Strafverteidiger sollte daher immer überprüfen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.

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